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Rede des Bürgermeisters zum Volktrauertag

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Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

seit knapp 100 Jahren, konkret seit 1922, begehen wir nun den Volkstrauertag. Damals hat man der Kriegstoten aus dem Ersten Weltkrieg gedacht.
Das gemeinsame Trauern kam aus einem Gedanken der Solidarität. Diejenigen, die niemanden aus der Familie oder der Verwandtschaft verloren hatten, sollten gemeinsam mit denen trauern können, die ihre Liebsten verloren hatten. 1922 standen in der ersten offiziellen Rede zum Volkstrauertag, die der damalige Reichstagspräsident Paul Löbe gehalten hat, die Versöhnung und Verständigung im Mittelpunkt.

Ein Komitee aus den großen Glaubensgemeinschaften, aus zahlreichen Verbänden bis hin zum Jüdischen Frauenbund hat sich dafür eingesetzt, dass der Volktrauertag in den meisten Ländern gemeinsam begangen wurde.
Während die Nazis dann aus dem Volktrauertag einen „Heldengedenktag“ machten, wurde er in der Nachkriegszeit ab 1950, nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland, in seiner ursprünglichen Bedeutung wieder eingeführt.

Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs liegen nun 76 Jahre zurück. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir damit seit mehreren Jahrzehnten kein Kriegsgeschehen in unserem Land erleben mussten. Bereits zwei bis drei Generationen sind bisher verschont geblieben. Dennoch – die Welt ist nicht frei von Krieg. Es vergeht kein Tag, an dem nicht in irgendeinem Land oder Kontinent geschossen, gebombt und getötet wird.
Nein, wir leben weiß Gott nicht in einer friedvollen Welt. Wir sehen,  – ganz gleich, ob im konkreten Krieg oder in „nur“ gewaltsamen Aktionen – dass Menschen nach wie vor sterben müssen durch die Hand Dritter. Oft sind es unschuldige Menschen, sogenannte Zivilopfer. Zudem sind es immer Angehörige der jeweiligen Militärs, Soldatinnen und Soldaten, die ihr Leben in Ausführung der staatlichen Zielsetzung lassen. Hinzu kommen die Menschen, die sich für eine gute Sache einsetzen, wie für den Rechtsstaat, für Demokratie und Freiheit. Auch sie müssen ihr Leben lassen. Ganz gleich, aus welchen Gründen oder durch welche Umstände.
Das Leben zu verlieren durch Gewalt anderer ist eine schreckliche Tatsache, die sofort aufhören sollte.
Allerdings wissen wir alle und müssen es wohl auch begreifen, dass Gewalt und Tod zum Leben zählen.

Aber wir können etwas dagegen tun. Neben dem Gedenken an Kriegs- und Gewaltopfer eröffnen sich immer wieder Aktionsfelder, auf denen wir den Betroffenen begegnen können.

Erst letzte Woche hatte Hersbruck Besuch aus Frankreich, vom Bürgermeister und dem Vertreter des Märtyrervereins aus Oradour sur Glane. Ich kann nur sagen, dass es für mich ein mehr als bewegender Besuch war.

Zur Erklärung:
Am 10. Juni 1944 fielen Gruppen der SS auf ihrem Weg nach Norden, in die Normandie, in die Stadt ein und verübten ein Massaker unglaublichen Ausmaßes. Nahezu alle Einwohner aus Oradour sur Glane wurden dabei ermordet, die Männer erschossen, die Frauen und Kinder in die Kirche gesperrt und angezündet. Den Ort haben die Nazis vollkommen niedergebrannt.

Noch heute zeugt die zerstörte Stadt von diesem unfassbaren Kriegsverbrechen. Nach Kriegsende hat man nämlich die Ruinen stehen gelassen, hat einen neuen Ort daneben aufgebaut.
Sie können sich bestimmt genauso gut vorstellen, wie ich, dass in der Nachkriegszeit und bis heute, die Bewohner des Ortes den Deutschen nicht gerade freundlich gesinnt waren. Nur im Kleinen hat da eine fast lautlose Annäherung auch durch Personen aus dem Bezirk Mittelfranken stattgefunden.

Und gerade aus dieser Stadt kam nun die Anfrage nach einem Ort in unserer Region, der sich eine Beziehung zu Oradour vorstellen kann.
Da streckt Frankreich dem Volk die Hand entgegen, das Tod und Vernichtung gebracht hat. Was für ein Angebot!
Wir werden jetzt in Demut warten, ob sich da wirklich eine dauerhafte Verbindung ergibt. Es sieht gut aus und wir würden uns sehr geehrt fühlen, wenn sich freundschaftliche Begegnungen ergeben würden. Eine kleine Pflanze entsteht gerade, die gut gehütet werden will.

Dann würde das, was vor hundert Jahren Reichstagspräsident Paul Löbe gesagt hat, auch heute noch seine Strahlkraft haben. Es geht um Versöhnung, um versöhnt sein und versöhnt bleiben. Und es geht um Verständigung. Das, was wir anderen entgegen bringen. Das ist heute genauso wichtig wie vor hundert Jahren. Und nachdem Hersbruck mit seinem KZ auch Täter war, möchten auch wir Oradour gerne die ausgestreckte Hand erwidern, ganz im Sinne eines einigen Europas.

Genauso, wie wir auf versöhnenden Pfaden unterwegs sind, möchten wir aber auch die, die wir in unsäglichen Kriegen verloren haben, nicht vergessen.
Viel dazu beitragen tut immer noch der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge.
Wenn Sie – nur als ein Beispiel von vielen – durch den Norden Frankreichs fahren, dann kommt ihnen alle paar Kilometer ein Schild entgegen, das Vorbeifahrende zu einem Soldatenfriedhof lenkt. Dort finden sich die Friedhöfe aller Nationen. Meist sind es gut gewählte Orte, friedliche Stätten mit dem Blick auf die Weite der Landschaft. Auf gepflegtem Rasen reihen sich tausende Kreuze mit den Namen der gefallenen Soldaten in unendlich langen Reihen dort auf. Unendlich viele Namen von Menschen, auf die damals Zuhause jemand gewartet hat. Immer wieder sieht man einen vereinzelten Blumenstrauß, oder entdeckt eine verblichene Karte, die eine Tochter ihrem Vater oder ein Enkel seinem Großvater hinterlassen hat.
Nicht selten steht drauf „Ich hätte dich gerne kennengelernt“!

Was mir bei den Bildern dieser Friedhöfe und bei den Fotos von diesen Kreuzen immer besonders zu Herzen geht, das sind die Jahreszahlen. Dort liegen junge Männer begraben, im Alter von 17 bis 30 Jahren. Von den Jüngsten würden wir heute vielleicht lächelnd sagen, dass sie „noch grün hinter den Ohren“ sind. Das waren sie damals wahrscheinlich auch. Euphorische junge Männer, die man für einen sinnlosen Krieg begeistert hat. Und die schnell gemerkt haben, dass man nur ein Leben hat und dass man als Kanonenfutter dieses schnell verlieren kann.

Ich habe auch in einen Sohn, der ist jetzt  31 Jahre alt. Die Vorstellung, ich müsste ihn in einen Krieg schicken und wüsste nicht, ob ich ihn wiedersehe, ist kaum auszuhalten.

Deswegen…
kann ein Gedenktag wie dieser immer daran erinnern, was wir unternehmen können, um Gewalt zu vermeiden.
Inwieweit können wir als Politiker und Politikerinnen oder über welche Wege können Organisatoren, Staatengemeinschaften wie die Europäische Union aktiv werden und andere Regierungen an Kriegen oder gewaltsamen Aktionen hindern?
Wir kennen Möglichkeiten wie wirtschaftliche Sanktionen, Boykottaktionen und anderes. Alles, was helfen kann, Gewalt zu verhindern, sollte angedacht werden.

Aber noch wichtiger ist es, von vornherein zu handeln und mögliche Konflikte zu unterbinden.
Als Beispiel fallen mir hier die Bemühungen im Nahen Osten ein. Durch Gespräche zwischen den Palästinensern und der israelischen Regierung versucht man, dem Konflikt beizukommen.
Verständigung bedeutet generell die Kommunikation zwischen zerstrittenen Parteien, zwischen Staaten, bürgerlichen Gruppierungen oder feindlichen Lagern. Verständigung heißt: Miteinander reden! Beide Seiten anhören! Nur wenn wir miteinander reden und uns austauschen, dann können wir Kompromisse finden, die beiden zerstrittenen Seiten gerecht werden.

Neben der Solidarität ist es wichtig, den Betroffenen mit Hilfe und Unterstützung entgegenzukommen.
Unterstützung gibt es in vielfältiger Weise: finanziell, durch Hilfe bei der Integration von Flüchtlingen, durch materielle Geschenke, aber auch in Form des „Füreinander-da-Seins“.

All dies sollte letztlich zu einem großen Ziel führen: Freiheit für alle!
Nelson Mandela, der große Apartheidgegner und Freiheitskämpfer hat gesagt:
„Frei zu sein bedeutet nicht nur, seine eigenen Fesseln zu lösen, sondern ein Leben zu führen, das auch die Freiheit anderer respektiert und fördert.“

Aus Afrika kommt eine weitere Vorkämpferin für Freiheit und Gerechtigkeit. Vor zwei Wochen hat sie den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten: Tsitsi Dangarembga. Sie kommt aus Simbabwe und wurde ausgezeichnet für ihren Einsatz für ein gerechteres Leben in ihrem Land – und nicht nur dort. Die Friedenspreisträgerin und Romanautorin dreht Filme und tritt überall dort in Aktion, wo die Politik ihres Landes versagt. Auch sie soll uns ein Vorbild sein!

Kriegerdenkmal Hersbruck


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