Bürgermeister tauscht Bürosessel gegen Rollstuhl
Der ein oder andere Passant mag seinen Augen nicht getraut haben: Bürgermeister Robert Ilg hat seinen Bürosessel gegen einen Rollstuhl getauscht, um ein besseres Gespür zu bekommen für die Bedürfnisse und Nöte von gehandicapten Bürgern. Als ihn Werner Müller zu diesem nicht alltäglichen Experiment einlud, sagte der Rathauschef spontan zu.
Schon die Ausfahrt aus dem Posthofareal stellt Robert Ilg vor erste Probleme: Wie soll er die kleine Regenrinne in der Mitte der Poststraße oder die abgeflachten Bordsteinkante ein Stück weiter überwinden? Fußgänger verschwenden an beides keinen Gedanken, für gehandicapte Menschen haben sie durchaus ihre Tücken – ganz gleich, ob Rollstuhlfahrer oder Senioren mit Rollatoren. Die kleinen Rädchen vorne an ihrem Gefährt bleiben daran regelmäßig hängen. So auch beim Bürgermeister, bis ihm Werner Müller mit einem praktischen Rat aus der Verlegenheit hilft: „Den Rollstuhl kurz nach hinten ankippen, und schon geht es ziemlich sanft drüber.“

Kurz nach hinten ankippen: Die Regenrinnen am Oberen Markt und in der Poststraße stellen Bürgermeister Robert Ilg bei seinem Selbstversuch vor ein Problem – bis Werner Müller ihm im Beisein der bisherigen Behindertenbeauftragten Marlies Wolter zeigte, wie diese Hürde zu überwinden ist.
Begehrter Gesprächspartner
Auch seine früheren Chefs Walter und Jörg Maisel wussten Müllers Erfahrungen zu schätzen. Die Bauunternehmer hätten ihn „oft gefragt, wie wir etwas barrierefrei bauen können“, erzählt der passionierte Sportschütze. Seine Antworten und Anregungen flossen nicht zuletzt beim Bau des Betreuten Wohnens in Hohenstadt oder des Altstadt-Carrés in Hersbruck mit ein. Das Ergebnis gefällt nicht nur Menschen im Rollstuhl, auch Senioren mit Rollatoren oder Eltern mit Kinderwägen finden das gut.

Oft sind es schon Kleinigkeiten, die gehandicapten Menschen das Leben ein bisschen leichter machen – wie ein Schalter oder eine Steckdose, die in Sitzhöhe angebracht sind.
Umbau oft nicht möglich
Zumal auch der Zugang dank des stufenlosen Hoteleingangs sehr leicht ist. In der Altstadt von Hersbruck keineswegs selbstverständlich. Häufig „stranden“ Rollstuhlfahrer beim Einkauf an einer Stufe, die ins gewünschte Geschäft führt. „Einige haben ebenerdige Eingänge, oft aber scheitert das an der vorhandenen Bausubstanz“, sagt Werner Müller. Manche behelfen sich mit mobilen Rampen, mehr als eine gutgemeinte Notlösung sei das aber – „leider“ – nicht, vor allem wenn es im Winter glatt ist.
Nicht nur bauliche Zwänge lassen Rollstuhlfahrer verzweifeln, sondern auch die Gedankenlosigkeit mancher Mitbürger. So findet Werner Müller die bei der Neugestaltung des Oberen Marktes zusätzlich eingefügten Querungshilfen vorbildlich – wenn nicht gerade jemand genau dort seinen Mülleimer abgestellt hat: „Ein bisschen mehr Achtsamkeit würde uns viel helfen“, sagt er.
Gelungene Lösungen als Vorbild
Die Bemühungen der Stadt Hersbruck, die nicht eben rollstuhl-freundliche Innenstadt Stück für Stück besser an die Bedürfnisse gehandicapter Menschen anzupassen, bewertet Werner Müller insgesamt als positiv. Vor kurzem wurde in der hinteren Schulgasse das grobe Kopfsteinpflaster (Müller: „Das ist für uns die Hölle“) durch eine weitere Querungshilfe ersetzt, die den Weg zum Stadthaus und Amtsgericht ein bisschen angenehmer macht. Wichtig ist Müller insbesondere, sich bei neuen Bauvorhaben an guten Lösungen in anderen Kommunen – wie etwa den für Rollstuhlfahrer „vorbildlichen“ Platten in der Innenstadt von Altdorf – zu orientieren.
Die heuer anstehende Neugestaltung der Rudolf-Wetzer-Straße dürfte ihm gefallen. Dabei wird das holprige Pflaster am Unteren Markt durch zwei barrierefreie Übergänge „entschärft“, die Bushaltestelle bekommt ein Kasseler Bord, das Rollstuhlfahrern das Einsteigen erleichtert. Wichtige Impulse dazu kamen unter anderem von der Behindertenbeauftragten Marlies Wolter, die vor kurzem ihr Ehrenamt niederlegte. Jetzt sucht die Stadt einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin, um „auch künftig einen Fürsprecher für die Wünsche unserer gehandicapten Mitbürger zu haben“, sagt Robert Ilg.
Info: Wer sich für das Ehrenamt des Behindertenbeauftragten interessiert, kann sich per E-Mail an T.Fritsch@hersbruck.de melden.