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“Oradour und die Deutschen”– Vortrag mit Andrea Erkenbrecher

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Sie ist eine der besten Kennerinnen des Massakers von Oradour und dessen nahezu völlig unterbliebener juristischer Aufarbeitung: Andrea Erkenbrecher. Am Montag, 22. Januar 2024, um 18 Uhr stellt die Historikerin im Stadthaus ihr Buch „Oradour und die Deutschen“ vor – mit anschließender Diskussion.

Es ist das schlimmste Kriegsverbrechen deutscher Truppen in Westeuropa während des zweiten Weltkriegs: Am 10. Juni 1944 töteten SS-Männer in dem kleinen französischen Ort Oradour-sur-Glane mindestens 643 Einwohner, die sie lebendig in einer Kirche verbrannten oder erschossen. Über die Hälfte waren Frauen und Kinder; nur sechs überlebten. Die Ruinen der teils bis auf die Grundmauern niedergebrannten Gebäude sind bis heute ein Mahnmal für den Wahnsinn des Krieges.

Das Massaker ist Thema zahlreicher Bücher, Andrea Erkenbrecher beleuchtet es nun aus einer völlig neuen Perspektive: Wie ging die deutsche Justiz nach 1945 damit um? Jahrelang hat die gebürtige Feuchtwangerin dazu geforscht – und teils Haarsträubendes zu Tage gefördert, das weit über das in der Nachkriegszeit allerorts herrschende Schweigen hinausging.

Nicht ein Tatbeteiligter wurde in der Bundesrepublik belangt, nur gegen wenige überhaupt ermittelt. Der verantwortliche SS-Kommandant Heinrich Lammerding lebte unbehelligt als erfolgreicher Bauunternehmer in einer Düsseldorfer Villa und traf sich regelmäßig mit seinen früheren SS-Kameraden – „geschützt“ von einer Justiz und Regierung, die keine „niederen Beweggründe“ sah, weil die Soldaten geglaubt hätten, befehlsgemäß gegen Widerstandskämpfer vorzugehen.

Nur die DDR zog einen Täter zur Rechenschaft: Heinz Barth lebte unauffällig als Abteilungsleiter einer Konsumgenossenschaft, bis die Stasi eher zufällig auf ihn stieß. 1983 wurde er zu 14 Jahren Haft verurteilt, die er zum größten Teil absitzen musste. Nach seiner Freilassung erhielt er im vereinten Deutschland eine “Kriegsopferrente”.

Andrea Erkenbrecher will in ihrem kurzweiligen Vortrag unter anderem zeigen, wie dieser „Umgang“ mit den Tätern die Beziehungen zwischen Deutschland und Oradour belastete. Jahrzehntelang waren Deutsche dort höchst ungern gesehen – bis der damalige Bundespräsident Joachim Gauck 2013 in Oradour der Opfer gedachte. 2021 schließlich wagte Bürgermeister Philippe Lacroix den bis dahin undenkbaren Schritt, freundschaftliche Kontakte zu einer deutschen Kommune aufzunehmen – zu Hersbruck. Inzwischen ist daraus eine vertrauensvolle Basis für tiefer gehende Beziehungen entstanden.


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