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Rede des Bürgermeisters zum Volkstrauertag

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Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

es ist eine ernste und nachdenkliche Stunde, zu der wir uns versammelt haben, um gemeinsam des Volkstrauertages zu gedenken.
Ich dachte, irgendwann hat sich der Volkstrauertag überholt. Irgendwann brauchen wir ihn nicht mehr. Aber weit gefehlt!
Eigentlich ist es ein stiller Feiertag, der uns dazu aufruft, innezuhalten, über die Schrecken des Krieges nachzudenken, die so viele Leben auf diesem Kontinent und anderswo gefordert haben.
Aber um uns herum und auf der ganzen Welt tobt es eher, als dass es friedlich ist. Da dürfen wir nicht nur an die Opfer vergangener Kriege denken sondern auch an die, die gestern oder vorgestern in einem Teil dieser Welt auf brutale Weise ihr Leben lassen mussten. Die Konflikte in Europa, in der Ukraine und im Nahen Osten in Israel machen die Bedeutung des heutigen Gedenktages schmerzlich bewusst.
„Im Westen nichts Neues“, das mag sein, aber im Osten, da ist die Welt aus den Fugen geraten.

Vor einem halben Jahr hat die deutsche Neuverfilmung des Antikriegsdramas „Im Westen nichts Neues“ vier Oscars gewonnen.
Der Film nach dem Roman von Erich Maria Remarque beschreibt das Grauen des Ersten Weltkriegs und das Leid der Soldaten in ganz drastischen Bildern. Allein wenn man sich die Vorschau im Internet anschaut, da wird es einem ganz anders.
Schonungslos zeigt der Film, wie sinnlos dieses Sterben ist.
Der junge Soldat Paul Bäumer erlebt das „Schlachten“ an der Westfront, den Gaskrieg und letztendlich seine eigene verzweifelte Grausamkeit. Kurz vor dem Ende des Krieges stirbt er. Er stirbt an einem Tag, an dem es so ruhig und still ist, dass der Kommandierende im Heeresbericht notiert: „Im Westen nichts Neues“.
Der Tod ist zum Alltag geworden, die Toten am Ende nur Zahlen – welch eine Tragik!

Die Menschen waren zutiefst verstört und erschüttert von dem, was im Krieg passierte. Erich Maria Remarque wollte mit seinem Roman nicht nur auf das Widerwärtige des Krieges aufmerksam machen, sondern auch auf die seelischen Verletzungen. Die Soldaten kamen, wenn sie denn überhaupt wieder nach Hause kamen, mit psychischen Schäden zurück. Sie hatten Panikattacken, Schweißausbrüche, waren wie gelähmt oder konnten nicht mehr sprechen. Man hat sie zum Teil als Schwächlinge abgestempelt, weil man seelische Wunden nicht ernst genommen hat. Eine verlorene Generation, die man von der Schulbank weg in den Krieg geschickt hatte.
Der Autor war genau mit diesen psychischen Schäden zurückgekommen, obwohl er anscheinend nur sechs Wochen an der Front war. Im Buch schreibt er: „Wir waren noch nicht eingewurzelt. Der Krieg hat uns weggeschwemmt…“

Es hat auf jeden Fall gereicht, um ihn zu einem überzeugten Pazifisten zu machen.

Der Erste und Zweite Weltkrieg stehen als Mahnmale einer Zeit, in der die Menschheit in einen Strudel der Gewalt und Zerstörung gerissen wurde. Millionen von Menschen verloren ihr Leben, Familien wurden auseinandergerissen, ganze Städte und Länder wurden in Trümmer gelegt. Diese Erfahrungen sollten uns immer wieder vor Augen führen, wohin Nationalismus, Hass und Intoleranz führen können.
Warum kam es in den 1930er Jahren zum Überfall auf Polen, der den Beginn des Zweiten Weltkriegs markierte? Die Frage beschäftigt Historiker und Forscher bis heute, und die Antwort ist komplex. Wie so vieles übrigens auf das wir eine einfache Antwort suchen, es aber keine einfache Antwort gibt.

Doch eines ist klar: Der Aufschwung in Deutschland war 1930 vorbei. Wegen der weltweiten Wirtschaftskrise konnte Deutschland die Kriegsschulden nicht bezahlen, viele waren arbeitslos. Auch die Politik war in einer Krise. Es war nicht möglich eine stabile Mehrheitsregierung zu bilden.
Vor diesem Hintergrund kommt eine kleine Partei, die NSDAP, nach oben, die mit rednerischem Talent viele Mitglieder anwirbt. Diese Partei vertritt einen extremen Nationalismus, eine aggressive Expansionspolitik und einen wie wir wissen krassen Antisemitismus.

Was hat die Bevölkerung damals getan? Sie hat sich vor den Karren spannen lassen und einen Sündenbock gesucht. Mit dem Feind im Osten und den Juden hatte sie einen gefunden. Und hat ernsthaft geglaubt, dass es dann besser wird. Das war eine einfache Lösung auf ein Problem, das keine einfache Lösung hatte.

Was machen wir heute? Neben der berechtigten Frage, wie es mit unserem Klima weitergeht, mit unserer Lebensgrundlage, interessiert uns das nicht an erster Stelle. In der Statistik rangiert der Klimawandel erst an vierter Stelle. Was die meisten Menschen bewegt ist die Inflation und vor allem die Einwanderung. Die Flüchtlinge stehen ganz oben bei den Sorgen-Themen und ich habe das Gefühl, wir suchen hier eine einfache Lösung.
Wir suchen wieder einen Sündenbock und denken, dann wird wieder alles wie früher.
Das sind keine guten Töne und sie machen denen Sorgen, die als diese Sündenböcke gelten. Die einfachsten Sündenböcke waren schon immer die Ausländer und – keiner hätte es vor kurzer Zeit geglaubt – auch die Juden.

Offensichtlich ist auch die Zeit der „gepackten Koffer“ zurück. Nachrichten werden laut, dass Wohnungen jüdischer Mitbürger mit dem Davidstern gekennzeichnet wurden, es Boykott-Aufrufe gegen jüdische Firmen gibt und jüdische Redakteure Deutschland bereits verlassen haben.

Das ist unerträglich. Ich hätte mir vieles träumen lassen – aber nicht das!
Nie wieder sollen Juden verfolgt werden, einen Antisemitismus darf es nicht mehr geben. Das ist deutsche Staatsraison.

In Israel tobt ein brutaler Krieg. Ausgelöst durch einen Terroranschlag, der an Brutalität seines Gleichen sucht. Die Reaktion war absehbar. Israel reagiert mit äußerster Härte und Gewalt. Jetzt gibt es dort einen unerbittlichen Krieg, der von abgrundtiefem Hass bestimmt ist.

Ich denke, es gibt keinen Konflikt in dem so viele Menschen ihr Herz, ihre Zustimmung nur einer Gruppe schenken und für die anderen keinerlei Mitgefühl haben. Das zeigt sich auch in den Demonstrationen in Deutschland. Da gehen tausende für Palästina und auch für die Hamas auf die Straße und gleichzeitig finden Pro-Israel Demonstrationen statt.

Ich glaube, jeder Tote ist ein Toter zu viel. Und ich ertrage kaum die Bilder von diesem Krieg, der darauf basiert, dass ein Volk das andere nicht akzeptiert. Abgesehen davon, dass ich eine Terrororganisation –das darf man nicht vergessen- wie die Hamas nicht annähernd unterstützen kann, tun mir beide Völker leid, die nie ein gutes Nebeneinander gefunden haben.
Hier hat die Weltpolitik schon vor Jahrzehnten -und jetzt wieder- versagt oder will nicht für Frieden sorgen. Es gibt Staaten, die offen die Vernichtung und Auslöschung des jüdischen Volkes fordern.

Das kann so nicht sein und wir sind alle aufgerufen dagegen aufzustehen. Jedes Volk hat ein Recht auf Selbstbestimmung und auf Frieden.
Jedes Kind, jede Frau, jeder Soldat, alle, die in den letzten Wochen in Israel und im Gaza-Streifen gestorben sind, sind der Ausdruck für ein Gefühl, das unserem Nachbarn das Recht auf Leben abstreitet, er weniger wert ist und man auf keinen Fall etwas mit ihm teilen möchte.

Aber es gibt keinen „guten Toten“ oder einen „schlechten Toten“. Im Tod sind wir alle gleich und das sollten wir auch im Leben sein.
Ich gebe zu, die weltpolitische Lage aber auch die politische Lage in unserem Land machen mir Sorgen und ich sehe viele Parallelen zu früher, von denen ich nicht gedacht habe, dass ich das erkennen muss.
Aber ich setze auf die Hoffnung, dass wir alle uns um die Fakten kümmern und nicht um Meinungen, die uns vermeintlich einfache Lösungen versprechen. Nichts ist im Moment einfach. Aber wir haben Jahrzehnte gearbeitet und geübt an einer Demokratie auf die wir stolz sein können. Diese sollten wir auf Händen tragen, weil sie uns ein gutes, stabiles Gerüst gibt.
Ich setze auf die Hoffnung, dass wir eine Sehnsucht nach Frieden haben, dass wir uns jeden Tag vor Augen halten, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Wir haben große Verbrechen begangen, aber wir haben uns damit auseinandergesetzt und uns die Pflicht auferlegt, dass es sich nicht wiederholen darf. Verteidigen wir die Menschlichkeit gegenüber dem Rassismus.

Heute ist ein Tag, der seine Aktualität nicht verloren hat. Wir stellen unwiderruflich die Erinnerung dem Vergessen entgegen.

Der Volkstrauertag mahnt uns, für die Werte der Demokratie einzutreten, den Kurs Richtung Freiheit, Frieden, Sicherheit und Völkerverständigung einzuhalten. Verneigen wir uns an diesem Tag in Trauer vor allen Kriegsopfern dieser Welt. Jeder Tote –egal welcher Nationalität- ist ein Toter zu viel. Ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihr Mitgefühl.

Robert Ilg
Volkstrauertag 2024 Hersbruck


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